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Seit etwa einem halben Jahr beschäftige ich mich mit ICM – Intentional Camera Movement. Das ist der Freejazz der Fotografie. Es gibt keine festen Regeln, alles ist erlaubt und das Ergebnis ist nicht vorhersehbar. Wahrscheinlich ist es das, was an der Sache so faszinierend ist. Man wird selbst immer wieder von dem eigenen Foto überrascht. UND – wie auch beim Freejazz – man muss es mögen.
Der Artikel gibt eine kurze Einführung zu ICM.
Was ist ICM und wie funktioniert es?
ICM ist vom Prinzip her ganz einfach. Man braucht keine spezielle Ausrüstung, wie beispielsweise ein Weitwinkel, ein Makroobjektiv oder eine lichtstarke Festbrennweite. Im Gegenteil – am besten funktioniert ICM – meiner Meinung nach – mit der einfachen KIT-Optik mit Jogurtbecher-Gefühl. Es geht darum, während der Aufnahme die Kamera zu bewegen: Intentional Camera Movement – Beabsichtigte Kamera Bewegung. Also genau das, was man sonst beim Fotografieren eigentlich vermeiden möchte.
Die Einstellung der Kamera.
Damit man möglichst viel Zeit zum Bewegen hat, braucht man eine möglichst lange Belichtungszeit. 1/2 – 3 Sekunden ist in etwa der Richtwert. Ein bisschen kommt es auch auf einen selbst an und auf das Motiv. Es darf auch etwas länger oder kürzer sein. Jedoch bei Belichtungszeiten von 1/500 ist kein ICM möglich. Diese lange Belichtungszeit erreicht man durch verschiedene Maßnahmen, die oft kombiniert werden:
- Niedrige ISO-Werte – ISO 200 oder wenn einstellbar auch ISO 100.
- Geschlossene Blende. Um diese einzustellen schaltet man die Kamera am besten auf Zeitautomatik (Blendenvorwahl) oder in den manuellen Modus.
- Wenig Licht. Bei strahlend blauem Himmel ein Foto mittels ICM von einem Motiv, das komplett von der Sonne bestrahlt wird, zu machen ist unmöglich.
- Verwendung von Graufilter oder Polfilter. Diese Filter erhöhen die Belichtungszeit.
Da das Licht durch die Bewegung auf der gesamten Fläche einwirkt, kann es manchmal ratsam sein, die Belichtungskorrektur auf -0.7 -1.7 zu stellen. Diesen Wert muss man für jedes Motiv durch Ausprobieren ermitteln.
Die Anforderungen an das Motiv
Das reizvolle an ICM Aufnahmen sind die Licht- und Farbspuren. Damit diese entstehen, ist es wichtig, das es Spitzlichter im Bild gibt, die durch die Bewegung eine Spur hinterlassen. Besonders gut funktioniert das Nachts oder abends nach Untergang der Sonne in einer Stadt. Dort gibt es viele Lichter von Autos oder Häusern, beim denen innen Licht aus den Fenstern dringt.
Aber Spitzlichter sind ist kein Muss. Es geht auch im Wald oder in Innenräumen. Ein gewisser Kontrast sollte jedoch gegeben sein, sonst wird das Bild langweilig. Am Anfang muss man etwas experimentieren. Doch mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, welche Motive und vor allem welche Lichtsituationen sich für ICM eignen.
Die verschiedenen Arten der Bewegung
Zoom 1
Das einfachste ist, während der Aufnahme den Zoom am Objektiv zu verstellen. Diese Art von Bildern haben bestimmt schon viele ausprobiert. Es entsteht ein Effekt von Linien die zum Zentrum hin verlaufen, der einen in das Bild hineinzieht.
Wald im Sommer
Zoom 2
Zoom 2
Streng genommen ist das Drehen des Zoomrings kein ICM, da die Kamera ja nicht bewegt wird. So kommt man zur zweiten Art. Hier wird nicht der Zoomring des Objektivs bewegt. Diesen hält man mit der einen Hand fest und dreht statt dessen die Kamera mit der anderen. Diese Bewegung im Gegensatz zur ersten etwas ungewohnt, so dass man etwas üben muss. Hierdurch entstehen ein spiralenförmige Spuren.
Bei dieser Technik, aber auch bei dem Zoom 1, ist es ratsam ein günstiges (Kit) Objektiv zu verwenden. Ich weiß zwar nicht, ob das Objektiv durch die schnelle Bewegung Schaden nimmt (meins ist immer noch heile), aber ich denke, dass man das nicht ganz ausschließen kann. Außerdem sind die Zoomringe von billigen Objektiven oft leichtgängiger, was sich für eine schnelle Bewegung besser eignet.
Baum mit rotem Geländer
Drehen
Bei dieser Bewegung lässt man den Zoomring in Ruhe und dreht nur die Kamera. Dadurch entstehen kreisförmige Lichtspuren.
Wald im Sommer
Schwenken
Der Mittelpunkt muss nicht immer im Zentrum – also in der Mitte der Kamera/des Objektivs – liegen. Er kann auch außerhalb der Kamera liegen. Die Kreise werden dann größer. Aus dem Drehen wird dann eher ein Schwenken. Auf dem Bild sind dann nur Ausschnitte eines Kreises sichtbar.
Baumstumpf, Waldboden, Bein in blauer Jeans
Kurz Drehen
Hierbei wird die Kamera nur um einen geringen Winkel gedreht. Optional sie auch wieder zurückgedreht werden. Diese Bewegung kann man auch mehrfach während einer Belichtung wiederholen.Hierdurch entstehen ebenfalls kreisförmige Lichtspuren. Im Gegensatz zur ersten Art sieht man jedoch mehr vom Motiv und die Lichtspuren wirken wie eiine Linse oder ein Seifenblase.
Beleuchtetes Bürogebäude zur blauen Stunde
Hoch, runter, links, rechts
Die Kamera wird in eine Richtung bewegt. Dadurch entstehen horizontale oder vertikale Lichtspuren.
Herbstwald
Formen
Im Prinzip kann man die Kamera in jede Richtung bewegen und so eine Form aus Lichtspuren zeichnen, wie zum Beispiel ein Dreieck oder ein Herz. Hier muss man jedoch beachten, dass alles umgekehrt funktioniert, weil man ja die Zeichenfläche (Kamera) und nicht den Stift (Licht) bewegt. Eine Bewegung nach oben ergibt also einen Strich nach unten und eine Bewegung nach rechts einen Strich nach links.
Nachts in Marburg
Stillhalten
Interessant ist es auch, wenn man die Kamera eine Zeit lang still hält. Dann ist das eigentliche Motiv besser zu erkennen und geht nicht ganz in Farbspuren unter. Ähnliches erreicht man durch den Einsatz des Blitzes.
Marktplatz Oberstadt Marburg (NEIN es hat nicht gebrannt)
Kombinierte Motivbewegung
Besonders reizvoll kann es sein, wenn zu der Bewegung der Kamera noch die Bewegung des Motivs kommt, wie etwa bei einem fahrenden Auto.
Befahrene Straße in der Innenstadt
Stroboskop Blitz
Einige Blitze lassen sich so einstellen, dass sie mehrmals hintereinander feuern. Wenn man das mit ICM kombiniert, bekommt man keine Listspuren, sondern mehrer Aufnahmen von einem Objekt, die alle mehr oder weniger leicht gegeneinander verschoben sind.
Eines meiner alten Schätzchen
Und noch viel mehr …
Die hier beschriebenen Bewegungen lassen sich natürlich auch kombinieren – vorausgesetzt die Belichtungszeit ist lang genug und man selbst ist schnell genug. Außerdem gibt es bestimmt noch viele Bewegungen, die ich noch nicht aufprobiert habe und hier nicht aufgezählt habe. Der eigenen Krativität sind keine Grenzen gesetzt …………
Bildbearbeitung
Viele der Bilder sehen aus, als seien sie mittels Software erstellt oder als sei ein spezieller Effektfilter angewendet worden. Dabei sind die Bilder durch reine Fotografie entstanden. Trotzdem ist es ratsam, die Bilder nachzubearbeiten. Hier kommen jedoch weniger Spezialfilter zum Einsatz. Statt dessen werden die herkömmlichen Werkzeuge wie Kurven, Tonwertspreizung, Kontrast, Schwarzwert, Sättigung und Unscharf Maskieren verwendet. Es geht dabei hauptsächlich darum, den Kontrast in den Bildern noch zu verstärken. Deshalb sind die Werte, die eingestellt werden oft wesentlich höher als üblich.
Hier mal ein Beispiel mit einer Bearbeitung durch AfterShot Pro:
Original ohne Bearbeitung: Von der Sonne beleuchtetes Stück Waldboden.
Bearbeitung Version 1:
Belichtung -0.81, Kontrast +47, Gradationskurve: S-Kurve, Noise Ninja, Farbkorrektur: Gelbwerte nach rot-orange, Unscharf maskieren (USM) 2.2/100, Wavelet Sharpen: Wavelet1+Wavelet2
Bearbeitung Version 2:
wie Version 1, jedoch ohne Wavelet1
Und weiter ..
Ich hoffe ich habe mit diesem Artikel die Lust erweckt, loszuziehen und es selbst auszuprobieren. Wenn nicht oder noch nicht ganz, dann gibt es in meinen Galerien noch einige visuelle Anregungen:
Autobahn |
Herbstwald |
Stadt bei Nacht |
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Aber auch im Netz gibt es eine Menge zu ICM: